Ein Bein ohne Elch

Dies ist definitiv ein Eintrag für die Kategorie “…das werde ich noch meinen Enkeln erzählen!”

Wer schwache Nerven hat, liest jetzt besser weg. In diesem Artikel geht es um die andere Seite der Natur hier draussen, im Busch. Das wahre Gesicht. Bislang haben wir die Natur ja nur als sanft, als einladend und vor allem als friedlich erfahren. Natürlich wissen wir, dass die Natur auch ein anderes Gesicht hat. Und doch erschrickst du, wenn du diese Fratze plötzlich mit eigenen Augen siehst…

Wir alle wissen, in den kanadischen Wäldern leben viele wilde Tiere. Bären (die schlafen im Moment tief und fest), Elche, Wölfe, Kojoten, Rehe und so weiter. Meist sehen wir von diesen Tieren nur harmlose Spuren. Abdrücke im Schnee, Kratzspuren an den Bäumen, Kothaufen in allen möglichen Formen und Farben, … Ganz selten einmal haben wir ein Tier überhaupt zu Gesicht bekommen und wenn, dann nur von weit weg. Die meisten Wildtiere verschwinden, sobald wir auch nur in ihre Nähe kommen (und Nähe ist in diesen Zusammenhang ein sehr dehnbahrer Begriff). Aber lasst uns doch die Geschichte von Anfang an erzählen….

Es war ein wunderbarer Tag. Herrlich kühle -10 Grad, der Schnee knirschend hart, die Sonne strahlt vom Himmel, kein Wölkchen. Ein Tag, an dem du sicher keine Minute drin verbringen willst. Also hopp, Hunde vor den Schlitten gespannt, und los geht die Fahrt durchs Hinterland. Rainer und ich auf dem Snowmobil voraus, Roland mit dem Hundeschlitten hinter uns her, es hätte nicht schöner sein können. Gut eine Stunde sind wir unterwegs, düsen durch unberührte Landschaften, biegen um eine Ecke, da wird unsere Fahrt abrupt gestoppt!

Quer über dem Trail liegt ein Bein.

Ohne Tier. Nur Bein. Mit Huf und Unterschenkel noch mit Fell, der Oberschenkel nur noch Knochen.

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Ohalätz! Da braucht es nicht viel Buscherfahrung um zu wissen, was hier wahrscheinlich passiert ist. Einmal leer schlucken, Bein packen
2014-01-19_160-1600 und dahin zurückbringen, wo vielleicht noch der Rest des armen Tieres liegt…? Wenn da noch was liegen würde! Denn hinter dem Gebüsch finden wir dann das richtige “Schlachtfeld”:

2014-01-19_162-1600  Vom Elch (zu dem dieses Bein dem Huf nach zu urteilen gehörte) sind nur noch die Haare übrig. Kaum ein Knochen, keine Haut, keine Reste, kein Tropfen Blut, alles weg.
Der erste Gedanke: das waren Wölfe! Die eher kleinen, wenigen Fussspuren deuten aber eher auf das Werk von Kojoten hin. Wie viele Kojoten an dieser Jagd beteiligt waren, ist schwierig zu sagen. Offenbar können auch kleine Gruppen von 2, 3 Kojoten einen ausgewachsenen Elch reissen, lässt sich im Internet nachlesen.

Dass es tatsächlich Kojoten waren, ist sehr gut möglich. Es gibt viele davon in dieser Gegend, bei Vollmond hört man sie in den Wäldern heulen (oder eher kläffen, heulen ist etwas zu romantisch für dieses Geräusch). Im Sommer haben wir einmal einen Kojoten um unser Haus
schleichen sehen, er erinnerte stark an den Rotfuchs. Einfach mit grau-braunem Fell und etwas grösser vielleicht. Niemals hätten wir gedacht, dass dieser doch eher kleine Jäger einen Elch reissen kann, der grösser ist als ein Pferd! Hühner ja. Ziegen oder Schafe, klar. Aber ein ELCH! Offenbar sind auch die Kanadier überrascht vom Jagdgeschick des Kojoten. Bislang glaubte man den Elch nur auf dem Speisezettel der Wölfe. Erst im vergangenen Herbst wurde wissenschaftlich bewiesen, dass Kojoten nicht nur in der Lage sind Elche zu reissen, sondern dass sie dies auch regelmässig tun (Coyotes are moose killers, study) In allen erforschten Fällen waren die Opfer der Kojoten entweder sehr junge, unerfahrene Elche, oder sehr alte.
Nun, wir wissen, dass hier in der Gegend eine Elch-Mutter mit ihrem Jungtier unterwegs ist. Wir haben die beiden auch schon beobachten können, ganz in der Nähe von unserem Haus. Gegenüber vom See. Jetzt ist wohl auch definitiv klar, wem dieses Bein gehört(e).

Ja. Auch das ist Kanada.

^esther