Es herbschtelet…

herbsch|tele
schweizerisch für die Zeit, wenn Esther die Daunenfinken aus dem Schrank holt und Roland sagt “Aber s’isch doch no warm!”

Doch, es herbschtelet. Ganz sicher. Angefangen hat es am 18. August bei den Bowron Lakes, einer weltberühmte Seenkette etwa 400km nördlich von uns. Mein Bruder Martin ist Zeuge.

Bowron Lakes Spitze

Martin und ich waren vier Tage im Kanu unterwegs, wir ruderten durchs Niemandsland. Roland bevorzugt festen Boden, er hielt darum zu Hause die Stellung. Der erste Tag auf unserer Paddeltour war ganz eindeutig Sommer: T-Shirt Wetter und Badehose.

Bowron Lakes BadenWir waren überzeugt, dass wir drei weitere Tage in der Wildnis bei strahlend blauem Himmel vor uns hatten, doch bereits der nächste Morgen belehrte uns eines besseren. Dicke Wolken verdeckten die Sonne und es war ganz offensichtlich: da liegt was in der Luft. Naja, vielleicht sollte ich eher sagen, da hing was in den Wolken, denn wie viel da oben hing, merkten wir wenige Stunden später, als sich der Himmel nach allen Regeln der Kunst über uns ergoss. Und ergoss. Und ergoss. Zwischendurch hatten wir den Eindruck, als ob der Regen etwas nachlassen könnte, doch eigentlich holte er nur neuen Anlauf um noch stärker auf uns runter zu prasseln. Zum Glück hatten wir unser kleines, oranges $50 Walmart-Zelt bereits aufgestellt gehabt, bevor der Himmel seine Schleusen öffnete (und wider erwarten war das Ding tatsächlich dicht). Der Stimmung tat der Regen ebenfalls keinen Abbruch, Meyer-Geschwister sind wasserfest. Bowron Lakes RegenWir paddelten gemütlich noch ein wenig im Kreis, besuchten die obligatorischen Cariboo-Falls, gaben uns die volle Dosis Wasser von oben und von unten, assen uns satt an wilden Blaubeeren (vor allem Esther) und versuchten unser Fischerglück (leider nein).

Der Regen hielt hartnäckig die ganze Nacht an, trommelte fast ununterbrochen aufs Zeltdach, rasselte in den Bäumen, liess uns hochschrecken weil wir dachten, es spült uns demnächst das Kanu davon; erst am nächsten Morgen wurde es wieder ruhig um uns herum. Und präzis da rochen wir ihn zum ersten Mal: den Herbst. Man kann kaum beschreiben was es genau ausmachte aber es war ganz eindeutig. Kühl und glasklar, gebracht von einer Brise aus dem Norden. Herbst. Die Sonne kam zwar wieder hervor, der letzte Tag unseres Kanutrips war sogar wieder strahlend blau, doch die Badehose blieb verstaut. Wir paddelten in langen Ärmeln, am letzten Tag sogar mit Handschuhen. Bowron Lakes Handschuhe

Wie gesagt, das war im Norden. Zurück in 100 Mile House erwartete uns ein Roland in kurzen Hosen. Und doch liess sich auch hier die Veränderung nicht leugnen. Die Luft hatte ebenso diesen eigentümlichen, glasklaren Geruch angenommen. Am Morgen lag Nebel über dem See. Am Abend holten wir einen Pullover, wenn wir länger draussen sitzen wollten. Gummistiefel rückten in unserem Schuhregal in die erste Reihe und wir fragen uns wieder: “Pulli, Jacke oder beides?”

Die Veränderung zeigt sich natürlich auch in unserem Garten: Die Kartoffeln sind reif zur Ernte, die Kürbisse verdunkeln und verholzen ihre Schale, die Bohnen sind bereits gegessen, die Gurken, naja… ich habe noch Hoffnung. Die Zucchini hat erste schwarze Spitzen an den Blättern (für Garten-unkundige: das heisst, es war ihr wohl zu kalt letzte Nacht). Ich denke, ab heute heisst es wieder allabendlich das Beet abdecken, um das Ende der Zucchini-Saison vielleicht doch noch um eine Woche hinauszuzögern. Die Tomaten habe ich aufgegeben, die zwei grünen Kügelchen werden kaum mehr reifen in diesem Jahr. Nur die winterharten Gemüse wie Kohl und Mangold spriessen vor lauter Freude gleich doppelt so stark. Ganz vorbei ist die Gartensaison noch nicht. Und schliesslich ziehen wir regelmässig am Nachmittag unsere Jacken aus, manchmal sogar den Pullover und ein bisschen hat Roland schon recht, wenn er sagt: “Aber es isch doch no warm!”

^esther

Bowron Lakes Nebel